Sonntag, 13. April 2014

Schwarz, eisblau, dunkellila, dunkelrosa, olivgrün, dunkelblau und magnolienweiß!*


Alice, wie Daniel sie sah
Sarah Butler
Knaur TB-Verlag (3. März 2014)
14,99 €
Amazon

"Ich ziehe herum. Das ist meine Strategie, wenn ich denn überhaupt eine habe, und überall stelle ich mir dich vor. Ich habe kaum Anhaltspunkte, aber einiges kann ich erahnen: deine Haarfarbe, deine Größe, dein Alter. Und ich kenne deinen Namen. Ich könnte nach dir rufen, und du drehst dich um. Dann stünden wir hier, ließen die Fahrradfahrer vorbeirauschen, hörten die Boote wie Glocken aneinanderschlagen und würden reden."

Die Affäre mit einer verheirateten Frau warf Daniel vor Jahren aus der Bahn. Heute ist er obdachlos und auf der Suche nach seiner der Affäre entspringenden Tochter Alice, die einen eisblauen Namen hat: Eisblau für A, Gold für L, Rosa für I, Dunkelblau für C, Grau für E. Daniel nimmt Buchstaben in Farben wahr und versucht so, mit Alice, die er noch nie gesehen hat, zu kommunizieren. Über die ganze Stadt verteilt er Kunstwerke mit Alice' Namen, bis er von der Beerdigung von dem Mann erfährt, der Alice als seine Tochter großgezogen hat. Und Daniel weiß instinktiv, dass Alice dort sein wird ...

"Alice, wie Daniel sie sah" oder auch "Ten Things I've Learnt About Love" im Englischen ist ein ruhiges Buch mit einer sanften Poesie. Keiner bringt dem Leser die Kopplung von Farben und Buchstaben so nahe, wie unser Synästhetiker Daniel. Besonders gut gefallen hat mir hierbei die Farblegende im Umschlag des Buches, die jedem Buchstaben eine eindeutige Farbe zuweist. Daniel erzählt dem Leser nicht immer, welches Wort er da gerade in einem seiner farbenfrohen Kunstwerke aus Abfall legt, aber diese Legende macht es möglich, die Rätsel zu lösen. 

Die Geschichte des Romans wird von Alice und Daniel gleichermaßen erzählt. Alice' Geschichte beginnt damit, dass sie nach London ans Sterbebett ihres (Zieh-)Vaters reist, Daniel entführt den Leser auf einen seiner Streifzüge. Zugegeben, Alice' Kapitel lassen sich flüssiger lesen, es fällt nicht schwer, das "schwarze Schaf" der Familie, das weniger konventionell und bürgerlich ist als ihre Schwestern, liebzugewinnen. Zu Daniel findet man nicht so leicht einen Zugang. Seine Kapitel werden beherrscht von Beschreibungen, Gedanken und Gefühlen, sind somit sehr viel statischer. Doch seine Figur ist einzigartig. Er präsentiert sich dem Leser als feinfühliger, sensibler, gutmütiger Mann, dem das Schicksal und die eigene Schwäche übel mitgespielt hat. Doch es ist der Gedanke an Alice, der ihn aufrechthält, er lebt für seine Tochter. Daniel lernt man vielleicht nicht ganz am Anfang, aber doch im Laufe des Romans lieben - wenn man sich auf seine Sicht der Welt einlässt. Überhaupt liegt für mich in der Zeichnung ihrer Charaktere Butlers große Stärke. Die Figuren wirken authentisch. 

Was ihr meiner Meinung nach weniger gut gelingt, ist die Handlungsführung bzw. das Vorantreiben der Handlung. Manchmal gibt es Gedankensprünge zwischen zwei Sätzen, die einen verwirrt zurücklassen und es erforderlich machen, dass man die Seite erneut lesen muss, um zu versuchen, es wirklich richtig zu verstehen. Am Ende des Buches hat man das Gefühl, dass nur ein winziger Teil der Geschichte wirklich erzählt wurde und es noch so viel mehr zu sagen gäbe. Generell gibt es Rätsel, die im Laufe des Romans entstanden sind und nie aufgedeckt werden. Was war es, das der (Zieh-)Vater am Sterbebett Alice verschwieg und Cee und Tilly jedoch sagte? Wussten die Schwestern von der Affäre ihrer Mutter? Warum genau hat Kal nie den Mut gefunden, seinen Eltern Alice vorzustellen? Möglicherweise lässt Butler  als Expertin für Kreatives Schreiben (sie unterrichtete dies am British Council in Kuala Lumpur) Fragen dieser Art bewusst offen, um die Imagination des Lesers anzuregen, doch ich muss ehrlich sagen, dass es mich mehr beeindruckt, wenn der Autor die Handlungsfäden fest in der Hand und am Ende zusammenzuführen weiß. 

Dieser Roman ist eine zarte Geschichte, die von dem Band zwischen Vater und Tochter erzählt und von der Poesie der Synästhesie lebt. All dies spielt sich in einem London ab, das förmlich Leben, Farben und Vielfalt atmet - ein London, das man einfach lieben muss. L für Gold, O für Silber, N für schmutziges Gelb, D für Hellorange, fast durchsichig, O für Silber, N für schmutziges Gelb. 

* "Magisch" in Daniels Farbensprache!





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