Dienstag, 8. April 2014

Zum Leben ist es nie zu spät


Das Leben ist ein listiger Kater
Marie-Sabine Roger
Atlantik Verlag
19,99 €




Der nächtliche Sturz in die Seine stellt das Leben des Rentners Jean-Pierre gehörig auf den Kopf: Als er aufwacht, findet er sich im Krankenhaus wieder und kann sich an den Unfall nicht erinnern. Wichtiger ist ohnehin das Hier und Jetzt: Erstmals muss sich der verwitwete Eigenbrödler als „das Becken im Zimmer 28“ mit dem harten Krankenhausalltag auseinandersetzen und dabei auch noch gesund werden. Zur Ablenkung schreibt er dabei seine Memoiren, wird aber immer wieder von den vielen Besuchern gestört, die ungefragt auftauchen: Da wäre der junge Camille, der sich prostituiert und Jean-Pierre höchstpersönlich des Nachts aus der Seine zog, die 14-jährige Maeva, die tagelang vor Jean-Pierres Tür herumlungert, weil sie ein Auge auf seinen Laptop geworfen hat, die nette und pragmatische Krankenschwester Myriam und der sympathische Polizist Maxime, der sich durch Jean-Pierre an seinen Vater erinnert fühlt. Die Freundschaft zu ihnen ist es schließlich, die „dem Mann aus der Seine“ den Krankenaufenthalt erträglich macht und ihm sogar neuen Lebensmut schenkt, denn in den Sechzigern ist das Leben doch schließlich nicht vorbei … 

Es sind Jean-Pierres Memoiren, die der Leser da liest, wenn er „Das Leben ist ein listiger Kater“ zur Hand nimmt. Mit seinen 224 Seiten, kurzen Kapiteln und dem angenehm zu lesenden Schreibstil Rogers lässt sich das Buch relativ schnell lesen. Ob man das tun sollte? Nein! Es empfiehlt sich unbedingt, es langsam zu lesen, sich Zeit zu lassen und sich selbst die Gelegenheit geben über die Figuren, die Marie-Sabine Roger hier erschafft, nachzudenken. Es ist interessant, wie viele unterschiedliche Charaktere verschiedenen Alters im Krankenhaus aufeinandertreffen. 

Der Aufbau von Jean-Pierres sehr ungewöhnlichen Memoiren ist es, der das Buch so interessant macht: Diese gliedern sich in zwei verschiedene Ebenen. Da ist zum einen selbstverständlich Jean-Pierres Vergangenheit mit seiner Kindheit, seinen Streichen und Erlebnissen, seiner stürmischen Jugend, seiner nicht immer glücklichen Ehe, dem frühen Tod seiner Frau. Doch in Jean-Pierres Memoiren schleicht sich auch immer wieder auf einer zweiten Ebene ganz untypisch für Memoiren die Gegenwart ein: Nimmt er zunächst nur die Organisation des Krankenhauses und die scheinbar unmenschlichen Ärzte auf die Schippe, sind es doch Charaktere wie Maeva und Maxime, Camille und Myriam, die ihn herausfordern und interessieren. Nach und nach erfahren Jean-Pierre und der Leser die verschiedenen Geschichten, was auch dazu führt, dass Jean-Pierre immer mehr auf die Gegenwart fokussiert. Am Ende des Buches wird diese sogar schließlich mit der Zukunft verknüpft und der Leser stellt erfreut fest, dass Jean-Pierre bei aller (Alters-)Weisheit etwas Wichtiges gelernt hat: Zum Leben ist es nie zu spät. 

In diesem Buch geht es spürbar um die Charaktere und deren persönliche Entwicklung, aber auch um die Beziehungen zueinander. Mitunter bizarre, aber glaubwürdige Freundschaften und Verbindungen entstehen. Das Buch ist wenig handlungsorientiert, trotzdem hält es hier und da doch Überraschungen für seine Leser bereit, mit denen man so einfach nicht gerechnet hätte. Dabei orientiert es sich an einer mitunter traurigen Realität, Klischees räumt Marie-Sabine Roger keinen Platz ein. Vielmehr führt sie den Lesern Menschlichkeit vor Augen, gute Absichten und falsche Ergebnisse, die sich manchmal am Ende als gar nicht so falsch herausstellen. 

Die Sprache kommt leicht und sarkastisch daher, Bilder und Metaphern sind angepasst an das Alter und die Krankenhaussituation Jean-Pierres und machen aus dem Protagonisten einen Mann mit einem wundervoll verschrobenen Humor, der gleichzeitig kritisiert, entdramatisiert und amüsiert. Ausdrücke wie „Inkontinenz der Gefühle“ bleiben dem gut unterhaltenen Leser da lange im Gedächtnis. 

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, nur war ich nicht immer mit Jean-Pierre einer Meinung. Sein Humor war großartig, seine Weisheiten habe ich wohl verstanden, aber nicht immer teilen können. Vielleicht fällt es einer jungen Frau in ihren Zwanzigern auch ein bisschen schwer, sich in einen Sechzigjährigen hineinzuversetzen, obwohl ich mich immer gegen diese Ansicht à la „Wenn du mal in meinem Alter bist, wirst du das auch anders sehen“ wehren möchte. Sein Blick auf seine Jugend ist jedoch absolut verklärend und verallgemeinernd, was mich ein bisschen genervt hat – hat nicht jede Altersgruppe ihre Sorgen? Sicher ein Punkt, über den man streiten kann. Vielleicht hat sich hier dann schlussendlich doch noch ein Klischee eingeschlichen: Das Klischee des jungen Rowdys, der unbeschwert, sorglos und risikofreudig durch seine Zwanziger zieht und sich später allzu sehr nach dieser Zeit sehnt. 

Hingegen gefiel mir das Bild des heutigen modernen Rentners, der einen Laptop besitzt, damit umzugehen weiß und sogar StayFriends nutzt, wirklich gut. Eine gelungene kleine Geschichte über das Älterwerden, Freundschaft über die Generationen hinweg und Lebensmut, der sich immer (wieder )finden lässt!





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